Gesundheitsminister Lauterbach empfiehlt die vierte Impfung für alle – und kommt damit STIKO-Chef Mertens entgegen: Er wisse keine Anhaltspunkte dafür, sagt er. Kritik kommt auch aus der Koalition.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO) stellte sich gegen die vier allgemeinen Impfungen für Jugendliche und wandte sich damit gegen die jüngste Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er kenne keine Anhaltspunkte, die solche Ratschläge rechtfertigten, sagte Thomas Mertens der „Welt am Sonntag“ und fügte hinzu: „Ich finde es schlecht, medizinische Empfehlungen mit dem Slogan ‚Viel hilft viel‘ auszusprechen.

Lauterbach hatte zuvor eine vierte Impfung gegen das Coronavirus bei Personen unter 60 Jahren empfohlen. „Wenn jemand den Sommer genießen und nicht das Risiko eingehen möchte, krank zu werden, dann würde ich jüngeren Menschen natürlich eine Impfung in Absprache mit dem Hausarzt empfehlen“, sagte der SPD-Politiker dem Spiegel. “Dann hat man einfach ein ganz anderes Sicherheitsniveau.” Das Langzeit-Covid-Risiko reduziere sich „für einige Monate deutlich“, ebenso das Ansteckungsrisiko.

Kritik auch vom Koalitionspartner FDP

Kritik an der Empfehlung des Gesundheitsministers kam von der mitregierenden FDP. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagt dem Portal „t-online“: „Meiner Meinung nach sollte Herr Lauterbach nicht auf die STIKO warten, wenn es um Impfempfehlungen geht.“

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung äußerte sich kritisch. „Bei den Impfempfehlungen orientieren wir uns klar an der Ständigen Impfkommission“, sagte Vizepräsident Stefan Hofmeister: „Daran sollte sich jeder halten und nicht unnötig aufdrängen.“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte es wenig hilfreich, dass der Minister auf eine STIKO-Empfehlung wartete. Grundsätzlich sollte man sich vor weiteren Impfungen persönlich medizinisch beraten lassen, sagte Vorstandsmitglied Eugen Brysch. Das Alter ist nicht das Einzige, was zählt. „Vielmehr sollten Vorerkrankungen, individuelle Risiken und der Immunstatus berücksichtigt werden.“

Angepasster Impfstoff im September erwartet

Lauterbach sagte, Impfentscheidungen seien immer eine Entscheidung zwischen Arzt und Betroffenen. STIKO “empfehlt nur allgemein”. Es rät auch Menschen über 60 wieder, nicht auf Impfstoffe zu warten, die an neuere Varianten des Virus angepasst sind. Laut Ministerium wird mit einer ersten Vorbereitung Anfang September und einer zweiten Vorbereitung Ende September/Anfang Oktober gerechnet.

Die Sonderbehörden der EU hatten sich zuletzt für eine weitere Verlängerung ab 60 Jahren ausgesprochen. Bisher hat die STIKO eine zweite Auffrischimpfung nur für Personen über 70 und bestimmte andere Risikogruppen empfohlen.

Laut RKI erhalten mittlerweile fast 6,2 Millionen Menschen oder 7,5 Prozent der Bevölkerung eine zweite Auffrischungsimpfung mit der in der Regel notwendigen vierten Impfung. Bei den über 60-Jährigen sind es 21,3 Prozent.

Der Global Medical Director stimmt Lauterbach zu

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek folgte grundsätzlich der Empfehlung Lauterbachs zur vierten Impfung. Er halte die Mitteilung des Bundesgesundheitsministers aber für „desaströs“, sagte der CSU-Politiker dem rbb.

Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Der Gesundheitsminister hat recht – wir müssen jede Chance nutzen, um den Immunstatus der Bevölkerung zu verbessern.“ Aber wir dürfen die Grundimpfung nicht vergessen. “Fast ein Viertel unserer Bevölkerung ist noch nicht geimpft.”

Experten widersprechen dem Vorschlag einer vierten Impfung gegen das Coronavirus für unter 60-Jährige

Julia Cruz, RBB, Daily News um 20:00 Uhr, 15. Juli 2022

Gesundheitsminister Lauterbach empfiehlt zudem die vierte Impfung gegen das Coronavirus für Menschen unter 60 Jahren

Philip Brost, ARD Berlin, 15. Juli 2022 15:25 Uhr