Mit großen Augen kämpften sie um Sekunden und Punkte – nur wenige rechneten damit, dass die Lücken zwischen den Favoriten auf den Gesamtsieg noch gering waren. Vor allem nicht, dass es der zuvor dominante Pogacar war, der solche Distanz gewährte, anstatt sie wie üblich zu verteilen. Jonas Vingegaard, der in der Gesamtwertung nun einen komfortablen Vorsprung auf den Slowenen hat, holte sich am zweithöchsten Anstieg der Tour-Geschichte erstmals das Gelbe Trikot. Auf jeden Fall wird diese Tour spannend bleiben, das hat man schon auf dieser Etappe gesehen. Die Tour de France Alpe d’Huez: Siege, Stürze, Skandale – seine Legende und seine Stars VOR EINEM TAG Drei Dinge fielen auf:
1.) Jumbo-Taktiken aus dem Lehrbuch funktionieren perfekt
„Mir fehlen die Worte“, gestand Eurosport-Reporter Bernhard Eisel im Ziel der 11. Etappe am Col du Granon, „das war heute für die Geschichtsbücher: Jumbo hatte einen Plan und der wurde perfekt umgesetzt.“ Mit voller Kraft schnappte sich das niederländische Team das Gelbe Trikot und wurde mehr belohnt, als es hätte erwarten können. Wout van Aert ging von Anfang an aggressiv und Sprinter Christoph Laporte wurde neben dem Super-Vollkörper in die Gruppe des Tages platziert. Beide konnten später im Rennen deutlich Speedarbeit aufnehmen und sich einen zahlenmäßigen Vorsprung sichern, als die Konkurrenz längst ausgedünnt war. „Sie haben alles in die Waagschale geworfen und gezeigt, dass sie sehr loyal sind, insbesondere zu Primoz Roglic“, lobte Jens Voigt den 32-Jährigen, der seine eigenen Chancen auf das Tour-Podium opferte. Denn im zweiten Schritt spielte Jumbo Joker Roglic und startete mit ihm das Spiel der abwechselnden Angriffe auf den flacheren Teil von Galibier. Wingegard und der Slowene griffen abwechselnd an und setzten Pogatsar unter Druck. Er reagierte und wollte seinen Landsmann, der in der Gesamtwertung fast drei Minuten hinter ihm lag, nicht im Stich lassen. Großer Fehler, wie Eurosport-Experte Robbie McEwen erklärt: „Roglic war der Köder und Pogacar hat den Köder geschluckt“, sagte der Australier. Der mit dem gelben Panzer musste abwechselnd die Lücken zu den angreifenden Jumbos schließen, von denen einer in diesen weniger steilen Passagen möglicherweise weiterhin im Pogakar-Bach lauerte. So war es möglich, Pogacar zu ermüden – mit enormen Folgen für den letzten Anstieg. Jumbo zwang Pogacar, weiterzuarbeiten, „bis er es nicht mehr aushielt“, sagte Lisa Brennauer gegenüber Eurosports Velo Club, die Leistung des Teams sei „wie aus dem Bilderbuch“. Lehrbuch-Taktik! Analyse von Vingegaards Sturm im Gelben Trikot Inwieweit andere Gründe wie Hitze, Dehydrierung, leere Energiespeicher oder gar eine Coronavirus-Infektion schuld am Zusammenbruch von Pogacar auf den letzten Kilometern des Schlussanstiegs sind, ist derzeit nur Spekulation. Fakt ist aber: Der Tour-Sieger der letzten zwei Jahre, der zehn Renntage mit Kopfsteinpflaster-Zeitfahren, Anstiegen und Zielgeraden fast unantastbar aussah, „ist auch ein Mensch“, wie McEwen feststellte.
2.) Geschenke leuchten im Giant Galibier
Auch wenn man ihm die Erschöpfung durch die harte erste Hälfte der Tour nicht ansieht – er sei „hochmotiviert“, versprach Simon Geschke zum Auftakt im Eurosport-Interview. Ohne leere Versprechungen, voller Tatendrang machte er sich auf die Suche nach den großen Punkten für das Bergtrikot und wurde belohnt. Auch wenn Pierre Latour und Warren Barguil ihm die Siege in der Bergwertung raubten, sammelte der Routinier auf den ersten drei Gipfeln des Tages eifrig Punkte und vor allem der zweite Platz auf dem Tour-Riesen Galibier erhöhte sein Konto deutlich. „Er hat alles richtig gemacht und alles vorbildlich umgesetzt“, betonte Voigt. Für Geschke wird es jeden Tag ein harter Kampf um das maillot à pois bleiben, aber keineswegs verloren. Die Stars der Gesamtwertung muss er mächtig fürchten, je nach Tagesform und Glück, sich von der französischen Konkurrenz abzusetzen, hat er durchaus Chancen, länger im Bergtrikot zu bleiben. Jetzt kann er zumindest die berühmten Kurven von Alpe d’Huez hochfahren – etwas, das vor ihm nur Rolf Aldag als deutscher Fahrer erleben konnte (der 2003 nur der Vertreter von Richard Virenque war, der auch das Gelbe Trikot trug). „Alles hat gepasst“: Geske kämpft wie ein Löwe um das Bergtrikot
3.) Siebenkampf um das runde Podium
Beim Auftakt in Albertville sah alles klar genug aus: Pogacar sah auf Kurs für einen dritten Tour-Sieg in Folge, Vingegaard sollte wie 2021 wieder die Nachfolge antreten und ein Fahrer des Ineos-Duos Geraint Thomas und Adam Yates würde das Podium komplettieren. in Paris. Etwas mehr als 150 km später hat sich das Bild massiv gewandelt. Nicht nur, dass Vingegaard nun an der Spitze thront, mit Romain Bardet, Nairo Quintana und David Gaudu ist ein Trio ins Spiel zurückgekehrt, das vor Pogacar auch Granon erreichte. In der Gesamtwertung liegen Platz zwei und sieben nur 57 Sekunden auseinander und wenn der Kolumbianer und die beiden Franzosen auch noch die Königsetappe in Alpe d’Huez bezwingen, erwartet uns eine unerwartet spannende zweite Hälfte der Tour.Das könnte Sie auch interessieren:Bergtourentrikot: Die besten Geschichten – Mit Voigt, Voeckler, Wüst & Co. Legende der Alpe d’Huez Tour: Sterne, Stürze und Fanspektakel in 21 Kurven Die Tour de France LIVE-TICKER | Etappe 12: Wird Pogacar in Alpe d’Huez antworten? VOR 11 STUNDEN Die Tour de France Große Geste, große Gefühle: Backstage mit Vingegaard und Pogacar VOR 14 STUNDEN