Schweiz: „Das Geld ist sehr knapp“ – zweifacher Familienvater arbeitet 70 Stunden die Woche
Ein Familienvater aus dem Kanton Aargau hat trotz Vollzeitjob einen Nebenjob angenommen. Laut Experten sind Mehrfachberufe auf dem Vormarsch. Tel Thomas Obrecht Chantal Gisler 1/3 Ein Familienvater aus dem Kanton Aargau arbeitet seit anderthalb Jahren 70 Stunden pro Woche. (virtuelles Bild) Getty Images Er arbeitet Vollzeit in einer Fabrik. (virtuelles Bild) Getty Images/Westend61 Aber er nahm auch einen zweiten Job als Kurier an. (virtuelles Bild) Getty Images A.* aus dem Kanton Aargau geht es nicht gut. Der 44-jährige zweifache Vater ist ständig müde. Seit anderthalb Jahren muss sie eine Doppelbelastung tragen: „Ohne Kaffee und Energydrinks könnte ich nicht mehr funktionieren“, sagt sie. Der Grund: Trotz Vollzeitjob nahm er einen Zweitjob und damit eine 70-Stunden-Woche auf. „Es gibt Tage, an denen ich von 23 Uhr nachts bis 6 Uhr morgens in einer Fabrik arbeite. Dann schlafe ich bis zehn. Ich fange um elf an, Essensbestellungen auszuliefern. Von 13:30 bis 17:00 habe ich Pause und arbeite dann wieder als Kurier, bis die Werksschicht beginnt“, sagt A. „Das ist scheiße“, sagt der 44-Jährige. „Aber ich habe eine Familie und am Ende des Monats viele Rechnungen zu bezahlen. Außerdem hat meine Mutter im Kosovo Krebs und ich bezahle die Behandlung.” Das Geld ist sehr knapp, unerwartete Ausgaben kann er sich kaum leisten. Da A. nicht als Working Poor gilt, kann er weder Sozialhilfe noch Sozialhilfe beziehen. Er weiß nicht, wie lange er diese Belastung aushalten kann: “Ich bin körperlich und psychisch erschöpft.” Laut Philipp Frei von der Budgetberatung Schweiz besteht eine sehr hohe Nachfrage nach Zusatzeinnahmen wie Kurierfahrten. Einer der Gründe: “In vielen Niedriglohnbranchen werden Löhne gezahlt, die einfach nicht ausreichen.” Zudem sind einkommensschwache Haushalte derzeit besonders von steigenden Verbraucherpreisen betroffen. „Handwerker sind aus beruflichen Gründen oft auf ein Auto angewiesen. Da sie in der Regel weniger verdienen, trifft sie der höhere Benzinpreis hart und sie leiden unter der Inflation“, erklärt Frei. “Außerdem wohnen Geringverdiener oft in älteren Häusern oder Wohnungen, die noch nicht so effizient sind und mit Öl geheizt werden, wobei der Ölpreis wieder für Probleme sorgt.” Free Fear: „Die Tendenz, die Nachfrage nach zusätzlichem Einkommen zu erhöhen, wird sich mit der aktuellen Inflation verstärken.“ Er rät den Betroffenen, einen Budgetplan zu erstellen und zu schauen, wo sie noch sparen können. Ist dies nicht möglich, sollten Sie sich über die Ermäßigungsberechtigung informieren und sich ggf. beraten lassen. „Etwa ein Drittel der Leistungen, die Menschen beanspruchen könnten, werden nicht in Anspruch genommen. Die Gründe dafür sind Unwissenheit, Überforderung bei der Eingabe des Berichts oder Scham“, sagt Frei.
„Die Leute verdienen trotz Vollzeitarbeit zu wenig zum Leben“
Bei Travailsuisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmer, ist das Problem bekannt. «Die Leute arbeiten Vollzeit und verdienen trotzdem sehr wenig zum Leben», sagt Bundespräsident und Alt-Nationalrat Adrian Wüthrich. Die Zahl der Mehrfachbeschäftigungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. „Leider wird das Phänomen mit der Zunahme der Inflation noch ausgeprägter. Je höher der Preis, desto weniger Menschen gibt es zum Leben», sagt Wüthrich. Wirksam wäre ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn. „Dann könnte man auch von mehreren Nebenjobs leben, ohne mehr Stunden zu arbeiten.“ Weitere Forderungen von Travailsuisse sind bedarfsgerechte Familienzulagen oder Familienzulagen sowie tiefere Kosten für die zusätzliche Kinderbetreuung. „Damit könnte Familienarmut wirksam bekämpft werden“, sagt Wüthrich.
Über 500.000 Menschen sind von Armut betroffen
Gemäss Syna-Geschäftsleitungsmitglied Claudia Stöckli brauchen die Niedriglohnbeschäftigten dieses Jahr Lohnerhöhungen, die deutlich über der Inflation liegen. „Nur so lässt sich Kaufkraft effektiv sichern.“ Mit einem zu erwartenden massiven Anstieg der Krankenkassenprämien droht den Haushalten ab dem 1. Januar 2023 ein Kostenschock. „Bei voraussichtlich weiter steigenden Inflationsraten und Zinsen droht ihre Lage noch schwieriger zu werden.“ Auch Philippe Gnaegi, Direktor von Pro Familia und Dozent an der Universität Fribourg und Neuchâtel, hat sich in seinem 2021 erschienenen Buch «Familienpolitik in der Schweiz» mit dem Thema Familie und Armut auseinandergesetzt Eine Familie ist heutzutage ein großes Problem“, sagt Gnaigi. “Eine Familie kostet viel Geld und mit der Inflation wird sich die finanzielle Situation der Familien verschlechtern.” Familienbeihilfen könnten die Problemsituation und den Alltagsstress der Anspruchsberechtigten mindern und hätten eine weniger stigmatisierende Wirkung als Sozialhilfe. „Da sie nicht zurückgezahlt werden müssen, ermöglichen sie einen nachhaltigeren Ausweg aus der Armut in überschaubarer Zeit“, sagt Gnaegi. Das Problem dabei: «Nur vier Kantone erbringen Komplementärleistungen. Alle anderen sind auf Sozialhilfe angewiesen.” *Name der Redaktion bekannt