Beim Petersberger Klimadialog warnte Bundeskanzler Scholz vor einer weltweiten Renaissance der Kohleverstromung. Er bekräftigte: Deutschland hält trotz der aktuellen Energiekrise an seinen Klimazielen fest.

Bundeskanzler Olaf Solz hat im Vorfeld der Energiekrise nach dem Krieg in der Ukraine vor einer Rückkehr zur Kohlekraft gewarnt. „Was uns nicht passieren darf, ist, in eine globale Renaissance der fossilen Energie und insbesondere der Kohle abzurutschen“, sagte der SPD-Politiker beim Petersberger Klimadialog in Berlin.

„Niemand kann sich darüber freuen, dass der Anteil der Kohleverstromung in unserem Land angesichts drohender Engpässe in der Gasversorgung wieder zunimmt“, so Scholz weiter. Es handelt sich jedoch eindeutig um eine vorübergehende Notmaßnahme. „Wir müssen weg von Kohle, Öl und Gas – fast hätte ich gesagt: Vollgas.“ Das Motto lautet: Jetzt erst recht.

Oberste Priorität hat laut Baerbock und Scholz der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen

Cosima Gill, ARD Berlin, Tagesschau um 16 Uhr, 18. Juli 2022

Scholz erinnert die G7 an die Zusagen

Die Sofortmaßnahmen dürften laut Scholz nicht zu Lasten der deutschen Klimaziele gehen. „Alles, was wir heute tun, um die Erdgasversorgung zu sichern, muss sich an unserem Ziel orientieren, zukünftig in Deutschland und weltweit CO2-neutral zu werden“, sagte Scholz. Insbesondere werden dadurch keine neuen dauerhaften Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern geschaffen. Nicht in Deutschland, aber auch nicht in den Erzeugerländern. Wenn heute neue Energiepartnerschaften geschlossen werden sollten, dann nur mit einer klaren Perspektive auf die Energiewende.

Scholz erinnerte auch an die Zusage der wichtigsten westlichen Industriestaaten (G7), möglichst bald 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die Klimafinanzierung in den ärmsten Ländern aufzubringen. „Deutschland will das Ziel erreichen, bis spätestens 2025 jährlich mindestens sechs Milliarden Euro beizusteuern“, fügte er hinzu. Es werde auch praktikable Lösungen finden, um die mit dem Klimawandel verbundenen Verluste und Schäden anzugehen, sagte er in einer Forderung aus Entwicklungs- und Schwellenländern.

Scholz bekräftigte, dass er das Pariser Klimaabkommen im Auge habe. Hitzewellen auf der ganzen Welt, Überschwemmungen wie in Brasilien oder im Ahrtal zeigten: „Wir müssen die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen“.

Baerbock hält weiterhin an seinem 1,5-Grad-Ziel fest

Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte eingangs in Berlin versichert, Kohlekraftwerke müssten kurzfristig als Backup eingesetzt werden – „aber nur als Backup“. Das bedeute nicht, „dass wir das 1,5-Grad-Ziel aufgeben“. Russlands Krieg habe “selbst die letzten Skeptiker in Deutschland davon überzeugt, dass wir unsere Energiesicherheit nur mit mehr erneuerbaren Energien und Energieeffizienz gewährleisten können”.

Petersberger Klimadialog: Ausstieg aus fossilen Brennstoffen oberste Priorität, so Baerbock und Scholz

Cosima Gill, ARD Berlin, Tagesschau um 16 Uhr, 18. Juli 2022

Das Ziel von 1,5 Grad halten Experten jedoch für kaum erreichbar. Laut Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif könnten wahrscheinlich nicht einmal zwei Grad erreicht werden. „Wenn man berücksichtigt, was die Politik derzeit weltweit macht, sind wir mehr als drei Grad“, sagte der Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Internationale Politik hat „auf ganzer Linie versagt“

„Wir kommen an einen Punkt, an dem man zugeben muss: Die Zeit ist abgelaufen“, ergänzte der Wissenschaftler. Aktuell hat die Welt bereits einen guten Erwärmungsgrad erreicht. “Drei Punkte wären eine Katastrophe.” Latif beschuldigte Politiker der Untätigkeit. Der Klimaforscher beklagt, dass es immer wichtigere Dinge gebe, als die Umwelt zu schützen. „Weltweit haben wir das Klimaproblem in den letzten Jahrzehnten praktisch ignoriert“, sagte er. Die internationale Politik ist trotz Paris und anderer Konferenzen weitgehend gescheitert.

Beim Petersberger Klimadialog forderte Außenminister Baerbock die Weltgemeinschaft auf, die Ziele der Klimakonferenzen einzuhalten. Es blieben noch acht Jahre, um die Schadstoffemissionen zu halbieren – wie im schottischen Glasgow vereinbart. Baerbock warnte: Die Klimakrise sei die “größte Herausforderung für die internationale Sicherheit unserer Zeit”. Sie bedrohe das Leben von Millionen Menschen, den Frieden und die Stabilität weltweit, so der Grünen-Politiker.

Zudem muss den Auswirkungen des Klimawandels mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. “Wir müssen als Industrieländer unserer Verantwortung gerecht werden und unsere Versprechen von Paris einhalten”, betonte der Minister. Das bedeutet, das Klimafinanzierungsziel von 100 Milliarden US-Dollar zu erreichen und die kollektive Anpassungsfinanzierung im Vergleich zu 2019 zu verdoppeln.

Neubauer nennt Scholz „fossilen Kanzler“

Klimaaktivistin Luisa Neubauer kritisierte Bundeskanzler Scholz vor Beginn der Veranstaltung scharf und bezeichnete ihn als „fossilen Kanzler“. Scholz müsse jetzt einen Plan vorlegen, wie man die Menschen vor der Klimakrise schützen und den globalen Süden wirtschaftlich unterstützen könne, sagte Neubauer von der Umweltbewegung Fridays for Future der Rheinischen Post. „Olaf Solz war in den ersten sieben Monaten seiner Kanzlerschaft nicht Klimakanzler, sondern Mineralienkanzler – neue Gasförderung im Senegal, G7-Gipfel zu Mineralien, neue fossile Energieverträge. Das ist dramatisch.“

Ägypten bietet Energiepartnerschaft an

Beim Petersberger Klimadialog verständigen sich Minister und Vertreter aus rund 40 Ländern über das weitere Vorgehen im Kampf gegen den Klimawandel. Deutschland und Ägypten sind Veranstalter der Konferenz, die auch die Weichen für die Weltklimakonferenz COP27 Anfang November in der ägyptischen Küstenstadt Sharm el-Sheikh stellen soll.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bot Deutschland…