Der vorgesehene Nachfolger Chiocchetti gilt als höchst umstritten: Er stammt aus dem Kreis des italienischen Politikers Marcello Dell’Utri, der seinerseits Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi beraten hatte. Dell’Utri wurde wegen Mafia-Kontakten verurteilt und sitzt seit Jahren im Gefängnis. Obwohl Chiocchetti weder Korruption noch Verbindungen zur Mafia vorgeworfen wurden, hat seine Nähe zu Berlusconi durchaus Kritik hervorgerufen. Die Einwände gegen seine Ernennung zum Generalsekretär sind vor allem auf angebliche Freundlichkeit zurückzuführen. Einige Abgeordnete und Beamte halten den Italiener für ungeeignet für den Posten – unter anderem sollen laut Politico die Anforderungen in der Stellenausschreibung in kurzer Zeit reduziert worden sein.
Neue Geschäftsführung als Konzession
Im Gegenzug beinhaltet der EVP-Deal eine neue Generaldirektion im Parlament unter Führung der Linken, so Politico weiter. Es wäre das 13. für das Parlament – und soll für „parlamentarisch-demokratische Partnerschaften“ zuständig sein. Was genau in den Zuständigkeitsbereich fällt, darüber gibt es so gut wie keine Angaben, aber offensichtlich besteht die Sorge, dass es zu Überschneidungen mit bestehenden Ressorts kommt. Und natürlich gibt es den Vorwurf, das Parlament schaffe in erster Linie lukrative neue Stellen. Europäisches Parlament/Daina Le Lardic Die bisherige Generalsekretärin, Welle, bekleidete das Amt seit 2009
Der Haushalt des Parlaments könnte blockiert werden
Nun wächst der Widerstand – und das außerhalb des Parlaments. Denn auch EU-Mitgliedstaaten stehen dem Deal offenbar kritisch gegenüber: Politisierungen von Positionen seien in Brüssel gang und gäbe, dann solle aber mindestens eine qualifizierte Person befördert werden, sollen Diplomaten laut Politico gesagt haben. Das könnte Auswirkungen haben, weil Haushaltsverhandlungen zwischen Parlament und Mitgliedsstaaten anstehen – und das Parlament deutlich mehr Geld fordert. Nun muss laut Politico eine Gruppe von 18 Ländern diesen Vorschlag blockieren. Aber auch bei den Liberalen, die den Deal selbst unterstützen, gibt es Bewegung: Die Niederländerin Sophie in ‘t Veld schrieb an ihre Kollegen von Renew, sie verstehe nicht, warum Menschen einen Deal unterstützen, der „eine Spitzenposition für einen völlig unangemessenen sichert EVP . Kandidaten und schaden gleichzeitig dem Ruf des Parlaments”, berichtete Politico der Mail.
Gamon kritisiert “Prinzip des Postaustauschs”
Auf ORF.at-Anfrage wurde er auch von österreichischen EU-Abgeordneten kritisiert: NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon, ebenfalls Mitglied der Renew-Fraktion im Europäischen Parlament, sagte: „Ich verurteile diese Hinterzimmer-Deals. Das Europäische Parlament stellt hohe Anforderungen an die Transparenz der EU-Kommission, die intern mit gutem Beispiel vorangehen muss. Ich fordere, dass das Post-Hunt-Prinzip beendet wird. Im Gegenteil, das Europäische Parlament muss sich auf volle Transparenz und nachvollziehbare Verfahren stützen.“ Othmar Karas (ÖVP), Vizepräsident des Europäischen Parlaments, sagte in einer Erklärung zur heutigen Ernennung: „Für die Ernennung des neuen Generalsekretärs gibt es sehr klare und klar definierte Regeln. Das Präsidium des Europäischen Parlaments hat am 4. Juli beschlossen, diese Stelle auszuschreiben“, sagte Karas. Die Bewerbungsfrist ist nun abgelaufen. “Das Präsidium des Parlaments wird sich nach dem Sommer mit der Frage der Ersetzung befassen.”
Scharfe Kritik von SPÖ, FPÖ und Grünen
Parlamentarische Vizepräsidentin Evelyn Regner (SPÖ) verwies auf die „politische und geografische Ausgewogenheit der Verwaltung“ – und die Förderung von Frauen. „Gerade in dieser Hinsicht ist das derzeit im Raum stehende Personal- und Verwaltungspaket unzureichend und ein Warnsignal und schadet dem Ansehen unserer Institution als Ganzes“, sagt Regner. Das Europäische Parlament stehe für „Offenheit und Transparenz“ und sei nicht „die Spielwiese für die machtpolitischen Ambitionen einzelner Fraktionen“. Für Harald Vilimsky (FPÖ) seien solche Vereinbarungen „nicht überraschend“, sagt er in einer Stellungnahme, sie zeige „den Mangel an Transparenz innerhalb der EU-Institutionen. Tatsächlich in einer Zeit, in der es Europa und seinen Bürgern immer schlechter gehe werden geschaffen und hochbezahlte Stellen besetzt“, sagt Vilimsky. Auch die Grünen kritisieren die Regelung – und verweisen auf Äußerungen von Grünen-Vizepräsidentin Heidi Hautala. Ein „geeigneter“ Kandidat solle in einem transparenten Verfahren berufen werden. Ein ähnlicher Fall wurde immer wieder vor die EU-Kommission gebracht: 2018 wurde Martin Selmayr dort fast über Nacht zum Generalsekretär ernannt – was ausgerechnet vom Europäischen Parlament heftige Kritik erntete.
Personal: Das Parlament wird zum „Gespött der Kommission“
Am Dienstag zogen die Parlamentsmitarbeiter nach: Gewerkschaften und Personalvertreter schrieben in einem Brief, das Parlament sei „zur Lachnummer der Kommission und der anderen Institutionen“ geworden. „Wie kann es das Parlament jemals wagen, fragwürdige Verfahren anderswo zu kritisieren, nachdem diese Farce sanktioniert wurde“, fuhr der Brief fort. Nach Kritik von allen Seiten wackelt Chiocchettis Auftrag jedenfalls. Renew-Chef Stephane Sejourne kritisierte das Gespräch am Montag – räumte aber gleichzeitig ein, dass der Deal laut Politico nicht an einen „bestimmten Namen“ geknüpft sei. Bewerbungsschluss für die Stelle ist der 1. August.