Der Gasnotstand wird immer dringender. Welche Möglichkeiten haben die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur, die Gaskrise in den Griff zu bekommen? Von Thomas Spinnler, tagesschau.de
Die Gasversorgungsengpässe erreichen Extreme: Das Erdgasangebot ist erschreckend knapp, die Preise steigen auf Rekordhöhen. Die aktuelle Drosselung russischer Lieferungen schürt die Sorge, dass deutsche Gasspeicher erst im Winter ausreichend versorgt werden können. Die Gasspeicher sind derzeit zu etwa 63 Prozent gefüllt. Das Gasspeichergesetz sieht vor, bis zum 1. Oktober 80 Prozent der deutschen Gasspeicher zu füllen. Bis zum 1. November sollen es 90 Prozent sein.
Nun gibt es auch Befürchtungen, dass Russland die heute beginnende Wartung von Nord Stream 1 nutzen könnte, um die Lieferungen durch diese Pipeline komplett einzustellen. Der reguläre Prozess sollte in der Regel etwa zwei Wochen dauern. Ein kompletter Ausfall der russischen Gasversorgung kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Was könnten die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur tun, um diese Krise zu bewältigen?
Der „Erdgas-Notfallplan“
Für den Umgang mit Erdgasversorgungsstörungen sieht das Energiesicherheitsgesetz mit dem „Gasnotplan“ ein Verfahren mit drei Eskalationsstufen vor, die das Bundesministerium der Finanzen je nach Schwere der Störung aufrufen kann. Nach der Frühwarnstufe Ende März wurde im Juni die Alarmstufe ausgerufen. Damit hat das Ministerium eine Situation identifiziert, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Erdgasversorgungssituation führt. Beiden Situationen ist gemeinsam, dass der Staat noch nicht in den Markt eingegriffen hat. Marktmechanismen seien noch in der Lage, mit Disruption umzugehen, so die Idee.
Tritt jedoch das oben beschriebene Versorgungsstörungsszenario ein oder verschlimmert sich die Situation allein aufgrund reduzierter Lieferungen, kann das Ministerium per Dekret die dritte Stufe, die „Notfallstufe“, ausrufen. In diesem Fall liege ein „außerordentlich hoher Erdgasbedarf, eine erhebliche Unterbrechung der Erdgasversorgung oder eine sonstige wesentliche Verschlechterung der Versorgungslage vor“, konkretisierte die Bundesnetzagentur den Begriff.
Auf Stufe 3 greift der Staat ein
Sobald der Notstand festgelegt ist, kann der Staat in den Markt eingreifen und liefern, nachdem nachgewiesen wurde, dass Marktmaßnahmen nicht ausreichen, um die Krise unter Kontrolle zu bringen. Die Bundesnetzagentur wird dann zum „Bundeslastverteiler“. Das bedeutet, dass sie in Abstimmung mit den Netzbetreibern beispielsweise Einkaufskürzungen anordnen kann, so die Agentur.
Eine solche Gasknappheit hätte zunächst kaum Auswirkungen auf die Bevölkerung, da „geschützte Kunden“ wie Privatkunden bevorzugt behandelt werden. Haushalte, soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Pflegeheime oder Gaskraftwerke, die auch der Wärmeversorgung von Haushalten dienen, sollen laut Bundesnetzagentur so weit wie möglich mit Erdgas versorgt werden.
Prüfung im Einzelfall
Die Behörde kann per Erlass Maßnahmen wie Lastreduzierungen, aber auch Stilllegungen anordnen, „um die Deckung des lebensnotwendigen Energiebedarfs sicherzustellen und so die Auswirkungen einer Gasknappheit auf die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten“, so die Bundesnetzagentur.
Der Grundsatz betont, dass es sich bei den im Engpassfall zu treffenden Entscheidungen „immer um Einzelentscheidungen“ handelt. Es gibt keine abstrakte Gebotsreduzierung oder Schließungsanordnung. Entscheidungen müssen nach den Anliegen und der Bedeutung der Beteiligten, aber auch nach dem technischen Zustand des Netzes und den vorhandenen Gasflüssen in einer Gesamtbetrachtung getroffen werden.
Denn welche Bedingungen im Falle einer Knappheit gelten, hängt von so vielen Parametern ab – etwa der Gasspeicherkapazität, den Wetterbedingungen, den europäischen Vorgaben oder den erzielten Einsparungen –, dass sie nicht vorhersehbar sind. Unternehmen und Verbände haben zuletzt immer wieder vor sinkender Produktion wegen Gasknappheit und dramatischen Folgen für die deutsche Wirtschaft gewarnt.
Neuerungen im Energiesicherheitsgesetz
Weitere Instrumente hat die Bundesregierung durch bestehende gesetzliche Änderungen des EnergieSiG gewonnen. Bundesfinanzminister Robert Habeck (Grüne) sagte, das novellierte Energiesicherungsgesetz gebe der Bundesregierung umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten in Marktmechanismen, aber auch in die Gewohnheiten der Menschen. Neue Fertigkeiten sind ein „scharfes Schwert“, das nur mit Bedacht gezogen werden muss.
Die Bundesregierung kann nun Maßnahmen zur Einsparung und Reduzierung des Verbrauchs vorschreiben. Das heißt insbesondere, dass sie beispielsweise Regelungen zu Energiesparmaßnahmen im Verkehrsbereich erlassen kann, etwa um den Pendelverkehr zu reduzieren. Es könnte auch erforderlich sein, dass Arbeitgeber Arbeitnehmern die Möglichkeit bieten, von zu Hause aus zu arbeiten. Zudem sollen Maßnahmen zur Unterstützung schwächelnder Energieunternehmen, auch mit staatlicher Beteiligung, künftig leichter umsetzbar sein.