Wer für den Antisemitismus-Skandal verantwortlich ist, wird seit langem erbittert diskutiert. Rücktrittsforderungen waren sowohl gegen Schormann als auch gegen Geselle erhoben worden. Aber auch Kulturministerin Claudia Roth (Grüne) wird immer wieder kritisiert. Trotz der Entscheidung des Aufsichtsrats wird sie weiterhin gefragt, welche Rolle sie und ihre Mitarbeiter beim Niedergang von Deutschlands wichtigstem Kunstfestival gespielt haben. Gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ erklärte Claudia Roth offiziell: „Dies sind die ersten wichtigen Schritte hin zu einer notwendigen Neupositionierung dieses wichtigen Lichts für die zeitgenössische Kunst weltweit.“ Wäre Schormann nicht zurückgetreten, wäre Roths Stuhl wahrscheinlich umgezogen. Lesen Sie auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Jüdischen Gemeinde in München und Oberbayern, hofft auf eine umfassende Untersuchung. Schormanns Rückzug sei der „richtige Schritt, aber leider nicht der richtige Zeitpunkt“, sagte Knobloch gegenüber WELT AM SONNTAG. „Der unverhohlene Judenhass in manchen Kunstwerken und die extrem hitzige Debatte der vergangenen Wochen haben längst gezeigt, wie schwierig Teile der Kulturszene sind, Antisemitismus zu benennen und zu bekämpfen.“ Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, findet deutliche Worte. Der Schritt sei “überfällig”, sagte Bild am Sonntag. Er fordert weitere Konsequenzen für die Rolle der israelischen BDS-Boykottbewegung auf der Documenta: Der BDS-Beschluss des Bundestages soll künftig „die verbindliche Richtlinie für die Verwendung öffentlicher Gelder in der Kulturförderung sein“, erklärte Klein. Das Parlament hatte die Bewegung als antisemitisch bezeichnet. Linda Teuteberg, zuständig für jüdisches Leben in der FDP-Fraktion, stimmt WELT AM SONNTAG Klein zu. Der documenta-Antisemitismus-Skandal ist einer, der ein Statement setzt und über die Kunstschau hinaus weist: „Antisemitismus mit Bezug auf Israel ist inakzeptabel, ebenso wie der triviale Verweis auf den ‚globalen Süden‘. Es sollte keine politischen oder kulturellen Rabatte und Doppelmoral geben.” Der kulturpolitische Bundestagsabgeordnete der SPD, Helge Lindh, nennt das Ende von Schormanns Dienstvertrag “eine verspätete Befreiung aus einem Teufelskreis von Missmanagement und Fehlkommunikation”. In einer globalisierten Welt würden sich solche Skandale wiederholen, wenn nicht aktiv nach Aufklärung gesucht würde. „Deshalb rufe ich zu einer großen Debatte über ‚Kulturinstitutionen, Postkolonialismus/Rassismus, globaler Süden, BDS, Konflikt im Nahen Osten, Antisemitismus‘ auf, in der endlich harte und schmerzhafte Stimmen gehört werden“, sagte Lindh WELT. AM SONNTAG. Marlene Schönberger, Bundestagsabgeordnete der Grünen, sagte: „Endlich hat sich der Generaldirektor behauptet.“ Mit jedem Tag kommen weitere Details ans Licht, die zeigen, dass Schormann den Antisemitismus nie entschieden abgelehnt hat. “Jetzt müssen die Kunstwerke betrachtet werden.” Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte gegenüber WELT AM SONNTAG: „Frau Schormann ebnet den Weg, endlich eine konstruktive Debatte darüber führen zu können, wie antisemitische Bilder auf der Documenta 15 ausgestellt werden könnten. Diese Debatte ist längst überfällig und kritisch, gerade weil wir die Documenta als eine der wichtigsten Kunstmessen der Welt erhalten müssen.” Lesen Sie auch Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck hält den Rücktritt für „überfällig“. „Frau Schorman steht für organisierte Verantwortungslosigkeit, das BDS-Fest, das antisemitische Feuerwerk“, sagte er. Die Schuld kann Schormann nicht allein abgetan werden. „Das alles hat der Aufsichtsrat unter Leitung von Kassels Oberbürgermeister Gesell und Kultusminister Dorn trotz Abmahnung zugelassen. Auch der Aufsichtsrat der Documenta muss zurücktreten und Verantwortung übernehmen“, so Beck weiter. „Vielleicht ist die Documenta fünfzehn auch ein guter Zeitpunkt, um diese Kunstmesse zu beenden und woanders neu anzufangen.“ Die Documenta ist sehr kaputt, wie all diese Aussagen zeigen. Ob der Rücktritt von Sabine Schormann rechtzeitig kam – und ob die Maßnahmen ausreichen, werden erst die kommenden Tage und Wochen zeigen. Denn die Entscheidung des Aufsichtsrats bedeutet keineswegs, dass nun alle gegenseitigen Gegenansprüche vom Tisch sind. Sie waren wieder zu Ende, als Schormann und Geselle der Einladung des Kulturausschusses des Bundestages nicht gefolgt waren. Roth beklagte das „Versagen in Konzeption und Umsetzung“ der Documenta und wies darauf hin, dass sie bereits ihre Unterstützung und externe Expertise angeboten habe, als im Januar die ersten Vorwürfe auftauchten. Diese Expertise gilt es nun wieder aufzufüllen, so der Fünf-Punkte-Plan des Vorstands, der sich eng an Roths Anforderungen orientiert. Dabei soll nun der „wissenschaftliche Support“ bestehend aus einem Team von Wissenschaftlern helfen. Lesen Sie auch Meinung Documenta & Antisemitismus Der Aufsichtsrat empfiehlt zudem die Mitwirkung des Untersuchungsausschusses. 2019 wählte sie Ruangrupa zur verantwortlichen Kuratorin der Documenta. In jüngerer Zeit wurde dieselbe Untersuchungskommission wegen ihrer Nähe zur BDS-Bewegung kritisiert. , unter anderem weil sie versprochen hatten, sich intensiv um die Künstler zu kümmern, dieses Versprechen aber nicht gehalten hatten. Die Position von Claudia Roth wurde durch die Entscheidung des Aufsichtsrats der Documenta gestärkt. Inwieweit der Bund über die Sicht von Hessen und Kassel hinaus eingebunden werden soll, wurde in der Ankündigung allerdings nicht gesagt. Bisher hat Christian Geselle keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich keine größere Verantwortung der Kulturstaatsministerin wünscht. Hier finden Sie Inhalte Dritter Zur Anzeige der eingebetteten Inhalte ist Ihre widerrufliche Einwilligung zur Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung benötigen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem Sie den Schalter auf „on“ stellen, erklären Sie sich damit einverstanden (jederzeit widerrufbar). Dies umfasst auch Ihre Zustimmung zur Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten an Drittländer, einschließlich der USA, gemäß Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe a DSGVO. 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