08.07.2022, 21:30 Uhr

Die deutsche Wirtschaft befürchtet, dass der Erdgashahn weiter zugedreht wird. Vor allem angesichts der am Montag beginnenden Wartungsarbeiten an Nord Stream 1. Bundeskanzler Soltz kündigt auf dem Gipfel Maßnahmen in „beispiellosem Tempo“ an. Bundeskanzler Olaf Scholz sichert der deutschen Wirtschaft „hohe Geschwindigkeit“ bei der kurzfristigen Sicherung der Gasversorgung und der Schaffung einer CO2-neutralen Energieversorgung zu. „Unsere ehrgeizigen Ziele sind nur mit großem Tempo zu erreichen“, sagte Scholz in München nach einem Treffen mit den Top-4-Verbänden. Bei der Erdgasversorgung werde die Bundesregierung versuchen, an der norddeutschen Küste „in einem beispiellosen Tempo“ Gasterminals und Erdgaspipelines zu bauen. “Mein Ziel: Wir lassen niemanden unsere Eingeweide kaufen.” Am Montag wird die Pipeline Nord Stream 1 durch die Ostsee wegen seit Monaten angekündigter Wartungsarbeiten gesperrt. Eine große Sorge ist, dass Russland den Gashahn möglicherweise nicht aufdreht, selbst nachdem die Wartungsarbeiten abgeschlossen sind. Die Industriegewerkschaft BDI, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) forderten in einer gemeinsamen Stellungnahme eine stabile Versorgung mit Erdgas. Eine weitere zentrale Forderung: die Verkürzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastruktur, Gebäude und technische Anlagen, die früher Jahre oder Jahrzehnte dauerten, auf wenige Monate. Ohne eine solche Beschleunigung prognostizierten die vier führenden Gewerkschaften, dass die zentralen Projekte der Bundesregierung scheitern würden. „Ambitionierte Ziele beim Klimaschutz oder der Digitalisierung bleiben unerreichbar“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

“Die Entscheidung liegt beim Mann im Kreml”

Die Branche kritisierte die Bundesregierung jedoch nicht. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer, der Gastgeber, betonte, dass Wirtschaft und Politik Herausforderungen nur „gemeinsam“ lösen könnten. “Nie zuvor war das Gespräch mit dem Bundeskanzleramt so wichtig wie jetzt.” Der Präsident des BDI, Siegfried Russwurm, schließt eine Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nicht aus. “Die Entscheidung trifft ein Mann im Kreml”, sagte Russwurm vor dem Treffen mit Scholz. “Man muss sich auf das Schlimmste vorbereiten, auf das Beste hoffen und nicht über die Krise reden.” Vor allem in Süddeutschland mit seinen großen Industriestandorten gibt es Bedenken, dass bei einem Stopp der russischen Lieferungen der Druck auf das deutsche Gasnetz nicht mehr ausreicht, um eine stabile Versorgung zu gewährleisten. „Das kann durchaus so sein“, sagte Russwurm. „Was bei einem grundsätzlichen Erdgasmangel in diesem Erdgasnetz passiert, dazu gibt es keine Erfahrungswerte.“ Russwurm regte daher an, neben Neubaustrecken aus dem Westen und Norden auch nach kurzfristigen Ersatzlösungen zu suchen: „In Bayern wäre es gut zu schauen, ob es andere Verbindungen gibt, die relativ schnell ausgebaut werden können, zum Beispiel Anschlüsse nach Norditalien.” Vielleicht ist das LPG-Terminal in Triest der beste Einstiegspunkt. Die Stabilität der deutschen Gasversorgung hat laut Russwurm auch Auswirkungen auf die Nachbarländer: „Man muss das Ganze im europäischen Kontext sehen“, so der BDI-Cef. „Unsere Nachbarn im Süden und Osten, die Österreicher und die Tschechen, sind teilweise mit unseren Linien verbunden, wir in Bayern hingegen sind lose mit den italienischen Linien verbunden.“ Was in Deutschland entschieden wird, muss mit den Nachbarn abgestimmt werden.