09.07.2022, 21:25 Uhr
Die Regierung in Sri Lanka kapituliert vor Massenprotesten mit Hunderttausenden Menschen. Als Demonstranten seine Residenz stürmen, taucht Präsident Rajapaksa unter. Im Haus eines anderen Regierungsmitglieds spielen sich absurde Szenen ab. Nachdem Hunderte Demonstranten in Sri Lanka die Residenz von Präsident Gotabaya Rajapaksa gestürmt haben, droht ihm der Rücktritt. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen gelang es den Sicherheitskräften, den Staatschef kurz vor der Razzia in Sicherheit zu bringen. Später gab Parlamentssprecher Mahinda Abeywardana bekannt, dass Rajapaksa zugestimmt habe, nächste Woche zurückzutreten. Nach der Erstürmung des Präsidentenpalastes berief Premierminister Ranil Wickremesinghe, der im Falle des Rücktritts des Präsidenten übernehmen würde, eine Sondersitzung des Kabinetts mit Oppositionspolitikern ein und schlug seinen Rücktritt vor. Um „die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten“, habe Wickremesinghe „der Empfehlung der Oppositionsführer zugestimmt“, den Weg für eine neue Einheitsregierung zu ebnen, teilte sein Büro mit. Doch die Wut der Demonstranten konnte sie offenbar nicht unterdrücken: Am Nachmittag sei eine Menschenmenge auch in Wickremesinghes Privathaus eingedrungen und habe es in Brand gesteckt, teilte das Büro des Premierministers mit. Bilder in Online-Netzwerken zeigten eine Menschenmenge, die das Feuer bejubelte.
Hunderttausende gehen auf die Straße
Wegen der schweren Wirtschaftskrise finden in Sri Lanka seit Wochen Massenproteste statt. Nach Angaben der Polizei hatten sich am Morgen Hunderttausende Menschen in Rajapaksas Amtssitz versammelt. Fernsehaufnahmen zeigten Hunderte von ihnen, die über den Zaun des Präsidentenpalastes kletterten. Soldaten schossen in die Luft, um die Menge zurückzudrängen, bis Rajapaksa in Sicherheit war, so Verteidigungsquellen. Die Demonstranten schlenderten dann relativ ungehindert durch den Palast. Live-Videos in Online-Netzwerken zeigten Planschen im Swimmingpool des Präsidenten und Lachen in den Schlafzimmern des Palastes. Die Menschen stürmten auch das nahe gelegene Präsidentenbüro, vor dem Demonstranten seit drei Monaten campieren. Das Staatsoberhaupt sei außerhalb der Hauptstadt „gesichert“ worden und werde laut Verteidigungskreisen an einem geheimen Ort vom Militär beschützt. Private Fernsehsender zeigten einen Konvoi von Fahrzeugen am Colombo International Airport. Ob Rajapaksa das Land verlassen würde, blieb unklar. Demonstranten machen ihn und die Regierung für die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes verantwortlich. Wie es weitergeht, war nach Angaben von Regierungsvertretern zunächst völlig unklar. „Wir warten auf Anweisungen“, sagte ein hochrangiger Beamter. Am Nachmittag kündigte Parlamentssprecher Abeywardana in einer Fernsehansprache den Rücktritt des Staatsoberhauptes an. „Um einen friedlichen Übergang zu gewährleisten, hat der Präsident angekündigt, dass er am 13. Juli zurücktreten wird“, sagte er.
Die Regierung nimmt die Ausgangssperre zurück
Die Behörden hatten am Freitag eine Ausgangssperre verhängt, um die Proteste am Samstag zu verhindern. Auf Druck von Oppositionsparteien, Anwälten und Menschenrechtsaktivisten wurde die Anordnung jedoch aufgehoben. Es war von den Demonstranten ohnehin weitgehend ignoriert worden. Nach Angaben der Behörden wurden etwa 20.000 Soldaten und Polizisten nach Colombo geschickt, um den Präsidenten zu schützen. Drei Menschen mit Schussverletzungen wurden in das größte Krankenhaus der Hauptstadt gebracht. Nach Angaben des Krankenhauses wurden weitere 36 wegen Atembeschwerden nach dem Einsatz des Tränengases behandelt. Aufgrund der schweren Wirtschaftskrise ist die Regierung nicht mehr in der Lage, die wichtigsten Importgüter wie Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente zu finanzieren. In der Zwischenzeit suchte Sri Lanka Hilfe beim Internationalen Währungsfonds und Russland. Massenproteste gegen die Regierung eskalierten erstmals im Mai. Neun Menschen wurden getötet und Hunderte weitere verletzt. Daraufhin trat die Regierung Mahnda Rajapaksa zurück. Der Bruder des zurückgetretenen Regierungschefs, Präsident Gotabaya Rajapaksa, blieb im Amt. Ein wesentlicher Auslöser der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit des südasiatischen Landes im Jahr 1948 war der Einbruch des internationalen Tourismus infolge der Coronavirus-Pandemie. Der Regierung wurde auch Misswirtschaft vorgeworfen.