Das RKI meldete zuletzt eine Inzidenz von 702,4. Experten spekulieren jedoch, dass viele Fälle nicht gemeldet werden. Ein Grund: Viele Infizierte machen keine PCR-Tests. Die Ärzte des Labors erinnern nun daran, dass es ein Recht darauf gibt.

Der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) wies darauf hin, dass Personen mit einem positiven Corona-Schnelltest laut Corona-Testverordnung Anspruch auf einen bestätigenden PCR-Test haben – auch nach einem Selbsttest. Dies sei Teilen der Bevölkerung nicht bekannt, daher könne die Corona-Statistik nicht das wahre Ausmaß der Pandemie widerspiegeln, sagte BDL-Präsident Andreas Bobrowski.

In die Statistik gehen nur PCR-Tests ein

Tatsächlich zählen nur positive PCR-Tests für die Statistik – und damit auch für die Angabe einer Inzidenz durch das RKI. Da aber „sehr häufig“ auf einen positiven Antigentest kein PCR-Test folgt, sei der Infektionsverlauf „schon lange nicht mehr ausreichend dokumentiert“, erklärte Bobrowski.

Hinzu kommt das Problem, dass Nachmeldungen und Übermittlungsprobleme einzelne Tageswerte weiter verzerren können. Generell schwankt die Zahl der erfassten Neuinfektionen und Todesfälle von Tag zu Tag stark, da viele Bundesländer diese insbesondere am Wochenende nicht an das RKI melden und ihre Fälle später in der Woche melden.

Der BDL rechnet mit weiteren Schließungen von Testzentren

Auch der Verband der Laboranten rechnet wegen der sinkenden Nachfrage nach sogenannten Bürgertests mit der Schließung weiterer gewerblicher Prüfstellen im Laufe des Sommers. Dies könnte in Zukunft zu noch weniger Schnell- und damit noch weniger PCR-Tests führen. Tests an Bürgern sind laut Verband seit der Einschränkung Ende vergangenen Monats bereits um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen.

RKI: Inzidenz weiter steigend

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) selbst weist darauf hin, dass viele Fälle derzeit nicht in der Statistik erfasst werden. Laut RKI-Statistik steigt die Inzidenz weiter – auf 702,4. Dies geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards um 5 Uhr morgens widerspiegeln. Zum Vergleich: Am Vortag lag die Zahl der Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Woche bei 661,4 – in der Vorwoche bei 687,7 und im Vormonat bei 333,7.

Gesundheitsämter in Deutschland meldeten im RKI zuletzt 154.729 Coronavirus-Neuinfektionen (Vorwoche: 147.489) und 165 Todesfälle (Vorwoche: 102) innerhalb eines Tages. Auch hier sind Datenabgleiche aufgrund von Testverhalten, Nachmeldungen und Übertragungsproblemen nur eingeschränkt möglich. Seit Beginn der Pandemie hat das RKI 29.180.489 nachgewiesene Sars-CoV-2-Infektionen gezählt. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen unentdeckt bleiben.

Uneinigkeit zum Thema vierte Impfung

Die Wirksamkeit einer sofortigen vierten Impfung für Menschen über 60, wie sie von der Europäischen Union empfohlen wird, wird derzeit diskutiert. Der Epidemiologe und ehemalige WHO-Direktor Klaus Stöhr rät großen Teilen der Bevölkerung von solchen Auffrischimpfungen ab und lehnt die Empfehlung deshalb ab. Als Begründung nannte Stöhr der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, wer jetzt nach dem zweiten Booster für alle fordere, müsse wissen, „dass die Wirkung im Herbst weitgehend verflogen ist“.

Das Problem für Stöhr: Gerade im Herbst brauchen gefährdete Personen wegen des hohen Infektionsdrucks und der hohen Ansteckungswahrscheinlichkeit im Winter eine Auffrischung. Stöhr empfiehlt allen Menschen bis zum 70. Lebensjahr ohne Vorerkrankungen, mit der zweiten Mahnung bis zum Herbst zu warten.

Montgomery und Lauterbach für Verstärker

Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sieht das anders. Er unterstützte die Empfehlung der EU, Menschen über 60 eine zweite Auffrischimpfung zu geben. Er begründete dies mit der Reduzierung des bisherigen Impfschutzes. „Das Virus ist schlau, es verändert sich – und der Impfschutz schwindet“, sagte Montgomery den Blättern der Funke Mediengruppe. Die Impfung biete keinen absoluten Schutz, „aber sie ist sehr effektiv“, erklärte Montgomery. Deshalb sei es “richtig, jetzt diejenigen zu impfen, deren Impfung oder Genesung schon lange zurückliegt”. Gleiches gilt für die „besonders gefährdeten“. Auch im Sommer nehmen die Fälle nun zu. Wir sehen viel Krankenstand, vor allem bei Fluggesellschaften, Transportunternehmen und im Gesundheitsbereich. Wir alle leiden darunter.

Laut Montgomery ist die Impfung immer noch der beste Weg, um Krankheiten, Leiden und Tod zu verhindern. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte die Empfehlung der EU „rational und überfällig“. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) bisher eine zweite Auffrischimpfung für Personen über 70 Jahre, Risikopatienten und Bewohner von Pflegeeinrichtungen sowie Beschäftigte im medizinischen Bereich und in Pflegeeinrichtungen.