Klar ist, dass eine Talkshow weltbewegende Probleme nicht in 60 Minuten lösen kann. Niemand hat diesen Anspruch. Aber wenn der geneigte Zuschauer am Ende einer solchen Aufführung mehr Fragen hat als zuvor, kann das nicht der Sinn der ganzen Sache sein. Am Sonntagabend spricht Anne Will mit ihren Gästen über Umgang und Wege aus der Erdgaskrise. Sie wird mit einer Vielzahl von Antworten konfrontiert, die immer die gleichen Schleifen von Argumentationslinien in Sackgassen ziehen. Eine solche Form trägt nicht zu weniger Unsicherheit bei. Natürlich muss es nicht sein. Das ist schließlich Aufgabe der Politik. Und gerade stehen ihr besonders unsichere Zeiten bevor. Der Krieg in der Ukraine ist in vollem Gange und wird von russischer Seite ohne Rücksicht auf Opfer oder Menschenleben geführt. Neben der latenten Angst vor einer Eskalation der Situation über die Grenzen des ukrainischen Staates hinaus bereiten hohe Inflation und Schwierigkeiten bei der Erdgasversorgung Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland Kopfzerbrechen. Verbraucher fragen sich, wie lange sie ihre Stromrechnung und den Wocheneinkauf noch bezahlen können. Am Ende müsse jeder entscheiden, ob er lieber friere oder weniger isst, fragt Anne Will ihr Team. Laut Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Deutschland ein doppeltes Problem: Die Einkommensarmut ist relativ hoch und 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung haben praktisch keine Ersparnisse. Dies betrifft nicht nur diejenigen, die von rudimentärer Sicherheit leben, sondern auch die Mittelschicht. Will spricht die bereits geschnürten Hilfspakete der Bundesregierung an und fragt, ob es gereicht habe. Für Fratzscher ist es „natürlich besser als nichts“. Seiner Meinung nach sollten aber gezieltere und vor allem Maßnahmen beschlossen werden, die auch in drei Monaten noch wirken. Den viel gepriesenen Tankrabatt nennt er „die Erbsünde aller Maßnahmen“, weil von unten nach oben umverteilt werde. Es gibt auch keinen Anreiz zum Sparen. Höhere Sozialleistungen wie 100 Euro pro Kopf wirken gezielter bei denen, die sie wirklich brauchen. “Hier helfen derzeit nur dauerhaft hohe Einkommen.”

“Jeden Tag ein neuer Satz…”

Die bisher beschlossenen Maßnahmen haben in dieser Nacht ein eher schlechtes Zeugnis. Grünen-Chef Richard Lange hat es als Vertreter des Ampelbündnisses nicht leicht. Kündigt weitere Pläne für Herbst und Winter an. “Wir müssen gezielter vorgehen”, sagt sie und verweist auf Maßnahmen, die den eingangs erwähnten Fratzscher helfen: Menschen mit geringem Einkommen und ohne Ersparnisse. Ziel ist es, eine „Armutswelle“ zu verhindern. Er räumt ein, dass die Koalitionsmitglieder ein Kommunikationsproblem haben und warnt davor, Verhandlungen über die zu ergreifenden Maßnahmen nicht öffentlich zu führen. Doch genau das passiert derzeit, wenn zum Beispiel die grüne Umweltministerin Steffi Lemke ein Moratorium für Strom- und Gasstopps vorschlägt und ihr FDP-Kabinettskollege Marco Buschmann, der Justizminister ist, diese Idee sofort ablehnt. Neben Lang ist CDU-Politiker Jens Spahn, der in der privilegierten Position ist, zur Abwechslung andere in der Krise einzuschätzen. Sein Urteilsvermögen ist auch nicht besonders gut. Seine Nachfolger in Regierungsämtern haben keine Blaupause dafür, wohin es wirklich gehen soll. Zum Beispiel, wie russisches Gas ersetzt werden soll. Krisenmanagement sei die ständige Anpassung der Strategie an die Umstände, sagt der ehemalige Gesundheitsminister. Wir bekommen jeden Tag einen neuen Vorschlag, aber entschieden ist noch nichts.” Bundeskanzler Olaf Solz muss das Versorgungsproblem zu seiner Priorität machen. Nach viel publik gemachten konzertierten Aktionen mit Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften geschah nichts.

Höhere Löhne versus Inflation?

Zu den Teilnehmern der Sitzung Anfang Juli gehörte auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Er begrüßt das Format der Rede und versichert, dass es sich nur um das „Eröffnungstreffen“ gehandelt habe. Es war ein gemeinsames Verständnis des Problems. Moderator Will konfrontiert ihn mit dem Ernst der Lage und den Worten, die er noch vor wenigen Tagen in einem Interview verwendet hat: „Wir stehen vor der größten Krise, die das Land je hatte.“ Die schwankende Versorgungssicherheit von Energieträgern wie Erdgas stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Können höhere Löhne helfen, steigende Preise zu bewältigen? Dulger ist rückläufig. Er warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale und Unternehmen bereits am Rande des Machbaren. “Wir wissen einfach nicht, welches Feuer wir zuerst löschen sollen.” Marcel Fratzscher kann es nicht lassen. Die Lohn-Preis-Spirale ist ein falscher Mythos. Es könnte passieren, “aber ich sehe es gerade nicht.” Im Gegenteil: Höhere Löhne sind in dieser Krise das beste Mittel, denn so haben die Menschen mehr Geld in der Tasche und können selbst entscheiden, wofür sie es brauchen. „Wir alle wollen einen sicheren Arbeitsplatz und ein warmes Zuhause“, sagt Dulger. Eine Kombination aus beidem ist erforderlich. Gäbe es keine Arbeitsplätze in der Industrie, würden Löhne nicht gezahlt und Versicherungskassen nicht gefüllt. Für dieses komplexe Problem musste eine „vernünftige Lösung“ gefunden werden. „Beliebte Schnappschüsse“ sind fehl am Platz. Als mögliche Entlastung für die Bürger schlägt Jens Spahn die Senkung bestimmter Steuern, etwa der Stromsteuer, vor. Er und Lang sind sich einig, dass auch eine Energiepreisobergrenze für den Grundbedarf eines Haushalts sinnvoll sein könnte.

Und grüßt für immer das Kernkraftwerk

Aber was kann man auf der anderen Seite tun? Woher bekommt Deutschland die meiste Energie? Hier das Für und Wider zwischen Spahn und Lang, ob Atomkraft auch nach dem angekündigten Abschalttermin für die drei verbleibenden Reaktoren eine Option bleiben soll. Der CDU-Bundestagsabgeordnete vertritt die bisweilen aus den Reihen der FDP zu hörende Position: Atomkraftwerke sollten länger am Netz bleiben. Grünen-Chef Lang hält sich zu dem Ganzen bedeckt, stellt aber einen weiteren Stresstest in Aussicht, der mit offenem Ergebnis prüfen soll, ob es Anzeichen für einen Stromausfall gibt und ob ein eventueller Weiterbetrieb notwendig ist. Er sagt es nicht direkt, auch nicht trotz wiederholter Nachfragen von Anne Will. Er wolle sich aber alle Optionen offenhalten, betont Lang. Die FDP wirft dem Grünen-Politiker vor, sich um Umfragewerte zu sorgen und damit von der “klaren Grundlinie” der Koalition in der Frage abzuweichen. Bei Gasknappheit im Winter helfe Strom aus Kernkraftwerken nicht, weil er nicht flexibel einsetzbar sei und das Problem der fehlenden Wärme wegen zu wenig Erdgas ohnehin nicht lösen könne, argumentiert er. Und angesichts der Kosten-Nutzen-Abwägung (Risiko der Betreiberhaftung, Verzicht auf Sicherheitsstandards, neue Brennstäbe etc.) ist Atomkraft ohnehin abzulehnen. Spahn sieht das ganz anders und spricht sich dagegen aus. Nur die letzten Worte von Moderator Will können die unversöhnlichen Debattierer zum Schweigen bringen. Mit einem Anteil von gerade einmal sechs Prozent an der gesamten deutschen Stromerzeugung steht die Kernenergie sowohl auf der Tagesordnung als auch in der öffentlichen Diskussion ganz oben. Damit verfehlen wir leider das Hauptthema der Wege aus der Erdgaskrise. Diskussionen wie diese sind nicht nur lästig, sie verstören auch und werfen Fragen auf. Eine sachkundige Person, die das Gesagte unabhängig auswertet, hätte der Show gut getan. DIW-Präsident Fratzscher brachte es auf den Punkt: Deutschland schadet sich mit anhaltender Unsicherheit. Es braucht einen konkreten Plan, damit Unternehmen und Verbraucher wissen, worauf sie sich in Zukunft einstellen müssen.