Stand: 18.07.2022 11:18 Uhr                 

Deutschland leidet unter Energieknappheit. Soll die Laufzeit von Kernkraftwerken verlängert werden? Im Ampelbündnis wird die Debatte immer hitziger. Was sind die Vor- und Nachteile? Von Kirsten Girschick und Cosima Gill, ARD-Hauptstadtstudio

Wie steht es um die Ampel zur Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken?

Bereits im März erwog das Wirtschafts- und Umweltministerium – beide unter Führung der Grünen – eine Verlängerung des Mandats. Das Fazit: „Eine Verlängerung der Vorlaufzeiten könnte das Problem kaum lösen, und das zu einem sehr hohen finanziellen Aufwand und mit einer Reduzierung der notwendigen Sicherheitskontrollen – und das bei einer risikoreichen Technologie.“

Doch die Ampel widerspricht. Koalitionspartner FDP forderte zuletzt immer deutlicher Langfristigkeit, die SPD lehnte dies bislang ab und nannte es eine „Scheindebatte“. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lange hat nun gegenüber Ann Will angedeutet, dass eine vorübergehende Verlängerung des Mandats nicht ausgeschlossen werden kann. Natürlich müsse man immer auf die aktuelle Situation reagieren und „alle Maßnahmen prüfen“. Die Union wiederum beantragte kürzlich beim Bundestag eine Amtszeitverlängerung, die abgelehnt wurde. Die politische Debatte dreht sich ständig um die Gefahr eines Dauergaststatus aus Russland.

Welche Rolle spielt die Kernenergie in Deutschland?

Bis Ende 2022 sollen die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden. Drei Reaktoren sind noch in Betrieb: Isar 2 in Bayern, das Kernkraftwerk Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Im ersten Quartal 2022 wurden noch rund 6 % des Stroms in Deutschland durch Kernkraft erzeugt.

Langlebige Befürworter weisen darauf hin, dass dies zu weniger gasbefeuerter Stromerzeugung führen würde. Gegner weisen dagegen darauf hin, dass Kernkraftwerke nur Strom, keine Wärme liefern und daher fehlende Erdgasvorräte nicht ersetzen können.

Wer hat Recht?

Ein wenig von beiden Seiten, je nach Perspektive. Derzeit werden 13 Prozent des deutschen Stroms aus Gaskraftwerken und 6 Prozent aus Kernkraft erzeugt. Steht Ende des Jahres kein Atomstrom mehr zur Verfügung, muss mehr mit anderen Energieträgern – also Kohle, Erdgas oder Erneuerbaren – produziert werden. Wenn Kernkraftwerke länger laufen dürften, müsste dieser Prozentsatz an Strom nicht ersetzt werden. Solange die Erneuerbaren also nicht alles decken können, sollte Deutschland für mindestens diese sechs Prozent nicht auf die klimaschädliche Kohleförderung umsteigen und dafür auch nicht auf Gas setzen. Es könnte zum Heizen verwendet werden.

Nuklearingenieur Thomas Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie schätzt: „Die drei Kernkraftwerke haben im vergangenen Jahr 33 Terawattstunden Strom produziert. Wenn man ihn in Gas umwandelt, kann man damit etwa drei Millionen Einfamilienhäuser heizen.“

Was sie nicht kann: mehr Erdgas durch Kernkraft ersetzen als bisher. Denn die drei Kernkraftwerke könnten auch bei unverändertem Weiterbetrieb nur so viel Strom liefern wie zuvor, aber nicht mehr. Strittig ist auch, wie viel Strom die Atomkraftwerke bei Weiterbetrieb tatsächlich liefern würden. Denn das hängt davon ab, wie viel Leistung die verbleibenden Brennstäbe liefern können und wann neue Brennstäbe nachgeliefert werden könnten.

Das Prüfzeugnis des Ministeriums für Umwelt und Wirtschaft kam im März zu dem Schluss, dass die drei Kernkraftwerke mit den vorhandenen Brennstäben nach dem 31.12. nur fortgesetzt werden könnte, wenn die Energieerzeugung zuvor gedrosselt worden wäre:

„Die Kernkraftwerke werden dann im Sommer 2022 weniger Strom produzieren, um über den 31. Dezember 2022 hinaus im ersten Quartal 2023 weiter Strom produzieren zu können. Insgesamt wird bis Ende März 2023 kein Strom mehr produziert .”

Wäre es technisch möglich, die Laufzeit zu verlängern?

Rein technisch wäre es nachvollziehbar, sagt Kernphysiker Professor Clemens Walther vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Leibniz Universität Hannover: „Die für den Weiterbetrieb notwendigen Brennelemente würden bis Sommer 2020 zur Verfügung stehen 2023. Dann wäre der Ausbau möglich und die Kraftwerke könnten mit etwa 80 Prozent Auslastung weiterbetrieben werden.“ Stretch-Modus bedeutet, dass Kernkraftwerke mit weniger Leistung laufen, damit die Brennstäbe länger Energie liefern.

Auch Atomexperte Tromm hält eine Verlängerung um mehrere Monate für möglich. Bis dahin würden Brennelemente ausreichen, wenn die Leistung reduziert wird. Der Betreiber des Kernkraftwerks Emsland, RWE, schätzt die Lieferzeit auf zwölf bis 24 Monate und weist darauf hin, dass neue Brennelemente für jeden Block separat gefertigt werden müssen.

Woher kommt Uran zur Herstellung von Brennstäben?

Deutschlands größte Uran-Exportländer im Jahr 2020 waren laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat Kanada mit 62 Prozent und die Niederlande mit 38 Prozent. Der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sind derzeit keine Direktlieferungen von Uran aus Russland nach Deutschland bekannt. Allerdings stammen etwa 20 Prozent des in der EU verwendeten Urans aus Russland. Diese Zahl hat die Euratom-Versorgungsagentur (ESA) 2020 veröffentlicht. Mehr als 19 Prozent des Urans der EU stammen zudem aus Russlands Verbündetem Kasachstan. Also insgesamt fast 40 Prozent.

Umweltorganisationen wie der BUND kritisieren im „Uranus-Atlas“, dass Uran aus Russland und Kasachstan auch in Deutschland über andere europäische Länder verarbeitet werde und somit eine Abhängigkeit von Russland bestehe.

Was ist mit Sicherheitskontrollen in…